Obwohl es in bedeutenden Teilen linker und alternativer Subkulturen prinzipiell viel Einigkeit darüber gibt, dass Feminismus „eine gute Sache ist“, beschränkt sich das antipatriarchale Engagement linker Cis-Männer häufig auf theoretisches Wissen und Lippenbekenntnisse. Begriffe wie „Mann“ oder „männlich“ werden zwar negativ konnotiert verwendet – schließlich sind (Cis-) Männer nach wie vor strukturelle Nutznießer von Geschlechterhierarchien –, um die sich reihenweise ergebenden Widersprüche zwischen (oberflächlich) geteilter feministischer Gesellschaftsanalyse und eigenen alltäglichen patriarchalen Gefühls-, Denk- und Verhaltensmustern wird sich jedoch wenig bis gar nicht gekümmert. Wer sollte auch diese Sorgearbeit leisten? Im Kampf „für die Sache“ geht es ja schließlich um die Sache und nicht darum, welches Selbst da kämpft und was „die Sache“ wohl mit diesem Selbst zu tun hat. Und so ist es besonders für Cis-Männer ein Leichtes, sich von den Männern, die der Feminismus meint, abzugrenzen, tatkräftig in die Hände zu spucken und gleichberechtigt beim Macker-Massaker mitanzupacken – Mann ist ja nicht wie die anderen.
Nur – so leicht ist es natürlich nicht. Cis-Männer können sich nicht selbst davor bewahren, übergriffig zu sein, andere Menschen aufgrund ihres (vermeintlichen) Geschlechtes ungleich zu behandeln, abzuwerten, auszugrenzen und zu verletzen, indem sie sich Feministen nennen oder sich feministische Theorie aneignen. Das Patriarchat ist eben oft tiefer in den Köpfen als die Träger dieser Köpfe glauben.
Eine Ahnung davon zu bekommen, wie zugerichtet mann selbst ist und wie viel Sexismus mann internalisiert hat, ist oft eine unheimliche Erfahrung. Es kann einem den Boden unter den Füßen wegziehen, einen zutiefst verunsichern. Mal werden solche Selbst-Erfahrungen ausgelöst durch Gespräche mit Freund*innen oder Konfrontation durch FLTIs, mal durch intensive Beschäftigung mit feministischer Literatur, mal durch Workshops, Vorträge oder andere Bildungsveranstaltungen.
Letztere werden immer mehr angeboten – und häufig gut besucht. Sie können etwas anstoßen, irritieren, aufwühlen und Fragen stellen, die die Einzelnen bewegen und die berühmten „Aha-Momente“ auslösen – und häufig tun sie das auch. Dabei bleibt es dann aber leider allzu oft: bei einem Gefühl, angeregt zu sein und „ganz viel gelernt zu haben“, vielleicht Tatendrang im Bauch. Aber Menschen kehren zurück in den sexistischen Alltag, das Gefühl von Veränderung versickert und scheint höchstens in Gesprächen mit Freund*innen oder in unausgesprochenen Gedanken auf. Das kann ungemein frustrierend sein und ein Gefühl von Ohnmacht verstärken. Was von einem Workshop hängen bleibt, wird schnell vollends verdrängt oder dahin ausgelagert, wo auch Mann sich endlich mal nachdenklich und widersprüchlich gibt: in die (heterosexuelle) Paarbeziehung – womit die Auseinandersetzung mit männlicher Unsicherheit oft das bleibt, was sie historisch schon immer war: Frauenarbeit.
Es stimmt zwar, dass alle Menschen die Auseinandersetzung mit Geschlecht auch als individuelle und persönlich-biographische erfahren, aber sie darauf zu beschränken halten wir für zu kurz gegriffen, entpolitisierend und der gewaltigen Rolle, die Geschlechterhierarchien in unser aller Leben einnehmen, schlicht nicht angemessen. Gegen die Privatisierung gesellschaftlicher Widersprüche stellen wir den Slogan der Zweiten Frauenbewegung: Das Private ist politisch!
Eine als „toxisch“ bezeichnete Männlichkeit mit Selbstreflexion in homöopathischen Dosen zu behandeln ist uns zu wenig. „Es geht darum, tiefgreifendere Prozesse, Arbeit mit unseren Gefühlen, mit unseren Körpern in Gang zu setzen, in Gang zu halten, uns gegenseitig zu konfrontieren mit unseren männlichen Mustern, uns gegenseitig zu unterstützen in neuen Verhaltensweisen, die unserem männlichen Habitus zuwiderlaufen.“ – heißt es in der 15. Ausgabe des „Männerrundbriefes“, einer Diskussions- und Bewegungszeitschrift der pro-feministischen Linksautonomen, aus dem Jahr 2000 (S. 14). Und auch damals standen pro_feministische Männer vor einem ähnlichen Problem wie heute: „Formen gibt es dafür wenige […], Menschen (v.a. Männer) zum Konfrontieren und Unterstützen ebenfalls.“
Was tun? Zunächst einmal an alle Cis-Männer: Geht kollektiv in die Auseinandersetzung mit euren eigenen Rollen im Patriarchat, eurer Gewordenheit und Zurichtung! Es gibt zwar kein Patentrezept und sicher muss vieles neu ausprobiert werden, aber es gibt zum einen verdammt viele Männer, die vor ähnlichen Problemen stehen und teils in sehr widersprüchlichen Suchbewegungen sind, zum anderen einige vielversprechende Ansätze, die es zu erproben und möglicherweise weiterzuentwickeln gilt.
So etwas wie eine breite, kollektive Auseinandersetzung gibt es aber zur Zeit (im deutschsprachigen Raum) nicht. Es gibt Gruppen, die sich kritisch und aus pro_feministischen Perspektiven mit (eigenen) Männlichkeiten auseinandersetzen, aber es sind wenige und sie sind unzureichend vernetzt. Wir fordern deshalb nicht nur zur Organisation, sondern auch zum Austausch auf, gerne auch zum Dissens, zum feministischen Streit voller Leidenschaft und Vernunft. Ohnmachtsgefühle, Widersprüche und Auf-Die-Nase-Fallen gehören zum linken Alltag dazu und werden sicher zunächst eher mehr, wenn es um das Thema Männlichkeit(en) geht – besonders aus (cis-) männlicher Perspektive. An den Widersprüchen können wir scheitern, sie können uns aber auch antreiben. Sich im Zweifel für den Zweifel zu entscheiden, wäre dann keine vereinzelte Selbstbespiegelung mehr, sondern würde dem Rechnung tragen, was Männlichkeit mehr als alles andere ausmacht: Unsicherheit und Angst.
Statt solche Gefühle wie üblich zu verdrängen und sie hinter dem patriarchalen Ungetüm „Souveränität“ zu verstecken oder in selbstverneinender Lippenbekenntnis-Solidarität zu verdrängen, sollten wir versuchen, uns auch hier so angreifbar und verletzlich zu zeigen, wie wir es sind, ohne dabei die Schärfe der Auseinandersetzung zu schmälern.
Es gilt noch auszuloten, wo unsere Möglichkeiten und Grenzen liegen und wie weit wir letztere verschieben können. Aber auch so verstandene (pro-) feministische Männerpolitik wäre kein Grund zur neuen (Selbst-) Zufriedenheit. Es geht nicht um die „männliche Version“ des feministischen Kampfes und nicht um seinen Ersatz, sondern lediglich um seine Voraussetzung aus (cis-) männlicher Perspektive. In Anbetracht der Zustände wäre das aber schon verdammt viel.
– gezeichnet: zwei unzufriedene Cis-Männer aus Leipzig, März 2018