Wie viele Güterzüge mit Tomaten müssen noch verfeuert werden, bis uns Männern was dämmert?

Dieser Text ist ursprünglich als Einladung zu einem Kieler profeministischen Männertreffen veröffentlicht worden, das am achten Juni 2017 stattfand. Hier liegt er nun in einer leicht abgewandelten Fassung vor. Wir denken, dass er darüber hinaus als Diskussionsbeitrag zu den Themen „Profeminismus“ und kritische Männlichkeit und zu diesbezüglichen Organisierungsinteressen aktuell geblieben ist.

Woher kommt der Begriff „profeministisch“?

Als Ende der 60er Jahre die „zweite Welle“ der Frauenbewegung in Deutschland an die Öffentlichkeit trat, schleuderte sie ihren Genossen die Parole „Das Private ist politisch“ mit einer Tomate an den Kopf. „Genosse […], du bist objektiv ein Konterrevolutionär […]“. Im ständigen Kampf gegen ihre Genossen brach sie den Lack patriarchaler Denkschemata auf, und forderte eine Umwälzung dessen, was Männer unter revolutionärem Kampf verstanden – und heute noch verstehen. Dieser vermeintliche Kampf, welcher sich im Großen und Ganzen hinter theoretischen Gedankenmonumenten versteckt/e und mit einem ökonomistisch verengten Materialismus argumentiert wurde/wird, hat/te das Ziel, im „Privaten“ weitermachen zu können wie bisher. Denn nichts braucht ein Mann mehr, als nach getaner revolutionärer Arbeit in das „häusliche“ Naherholungsgebiet der Hege und Pflege einer oder mehrerer Liebesbeziehungen zurückkehren zu können, frei von gesellschaftlichen Widersprüchen und politischer Frustration. Die Abwehrmechanismen gegen feministische Kritik und kritische Patriarchats-Analyse, das Lächerlichmachen von Politik aus Frauenperspektive und die Angst vor selbstbewussten Genossinnen mögen sich im Laufe der Jahre teilweise in ihrem Ausdruck verändert haben, dennoch sind sie in unserem politischen Alltag omnipräsent. Und manchmal fragt Mann sich, ob unsere (fetischhafte) Fixierung auf den Kampf gegen das Kapital einem Leidensdruck entspringt, aus einem tiefen Empfinden der Ungerechtigkeit eines Herrschaftssystems herrührt, oder ob sie sich nicht doch (auch) aus einem gekränkten Ego speist, aus der Enttäuschung, nicht „on top“ in der kapitalistisch-patriarchalen Hierarchie mitmischen zu können. Und so scheint auch manche Antifa-Aktion primär dem Ausagieren männlicher Konkurrenz und Dominanz zu dienen. Das Patriarchat bleibt einstweilen die fortwährende Randnotiz, das „Andere“ neben dem Kapitalismus, wenn es nicht sogar, was derzeit wieder schwer in Mode ist, vollends für tot erklärt wird, um dem eigenen revolutionären Selbstbild keinen Abbruch zu tun. „Das Private ist politisch“ stellt, ernst genommen, eine immanente Gefahr für das „männliche Ich“ dar. Es deckt die gesellschaftliche Dimension auf, die in der Herrschaft durch das Individuum zu Tage tritt. Doch „das Private ist politisch“ heißt nicht, nur die Strukturen in sich zu erkennen, die eigene Reproduktion der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu reflektieren, sondern auch, dass das Individuum auf gesellschaftlicher Ebene verhandelt und ein gesellschaftlicher Umbruch erkämpft werden muss, um das Individuum von (inneren) Herrschaftszwängen zu befreien.

Die „zweite“ Frauenbewegung war zu einer Gegenmacht geworden und so kamen auch die Genossen nicht umhin, in die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Machtposition zu gehen. Einige wenige „ganz strebsame“ gründeten profeministische Männerzusammenhänge, Zeitungen und Gruppen. Sie versuchten sich an einer Reflexion ihrer Männlichkeit, um basierend auf feministischen Analysen eigene männlichkeitskritische Theorien zu entwickeln.

Die Autonome Bewegung erlitt einen Zerfallsprozess und auch die Frauenbewegung zerfiel bzw. wurde im gesellschaftlichen Backlash zerfallen. Der Druck wurde so von den Genossen und der doch eh recht überschaubaren männerkritischen Szene genommen, sich solidarisch weiter und tiefer am antipatriarchalen Kampf zu beteiligen. Dass heute in der linken Szene eine deutliche Männerdominanz herrscht, die Themenbestimmung und Politikstil vorgibt und Genossinnen zusehends herausdrängt, zeigt, wie rasant Errungenschaften revolutionärer Kämpfe auch in den Bereichen der Gesellschaft, die sich als radikal sehen, zurückgedrängt werden können.

Wer sind wir?

Dennoch bleiben Erfahrungen und Ideen dieser Teile der linken Geschichte bestehen – und in dieser profeministischen Kontinuität sehen wir uns. Profeministische Männergruppenarbeit bewegt sich immer auf einem schmalen Grad zwischen der Aufrechterhaltung von (verschleierter) Männerkumpanei in einem geschlossenen Raum und dem Versuch, dieser aktiv in den Rücken zu fallen. Dennoch halten wir es für notwendig, so lange antipatriarchale Kritik nicht wie selbstverständlich in unserem Alltag und unser Politik (als Männer) Platz hat und Männerkumpanei nicht benannt wird, Räume zu eröffnen, in denen wir an unserem Verhältnis zu anderen Männern, auch als Spiegel unserer selbst, arbeiten können. Patriarchale Herrschaft reproduziert sich u.a. auch durch das Herr- und Knechtverhältnis bzw. durch Führerbegehren und Untertanengeist unter Männern. Wir sehen eine profeministische Männergruppe als einen Raum, in dem eine gegenseitige Bestärkung entwickelt werden kann, diesen patriarchalen Wahnsinn aufzuzeigen und in der politischen Praxis auch außerhalb dieses Raumes uns selbst und Andere einer Kritik zu unterziehen. Frei nach Ingrid Strobl bedarf profeministische Solidarität „nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für […] Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden“ (sic).

Wir – die Autoren dieses Textes – sind ein kleiner Haufen von Männern, der sich seit ca. einem halben Jahr trifft (angestoßen durch ein Treffen auf den LaDIYfest 2016). Wir stehen noch in den Anfängen und es ist noch nicht zu spät, sich wieder zu öffnen. Hierzu wollen wir einladen. Bisher sehen wir uns einmal im Monat und arbeiten an drei verschiedenen Strängen. Wir lesen zusammen Texte/Analysen und versuchen, sie nicht nur als abstrakte Ideen zu behandeln, sondern zu schauen, wo wir uns in ihnen im Alltag wieder erkennen. Wir arbeiten an unseren eigenen Biographien patriarchale Zurichtung heraus und diskutieren einerseits, wie wir im Alltag sexistische Strukturen und Männerdominanz erkennen, andererseits auch, wie wir sie, wo es möglich ist, abbauen und schon im „Kleinen“ verändern können. Dabei sind uns Verbindlichkeit und Kontinuität wichtig, auch um uns kennenlernen zu können, um Vertrauen aufzubauen, damit das ständige „Abgechecke“, wer cooler und potenter ist, sowie das Boxringverhalten (Decken, keine Blöße geben, Lücke erkennen und zuschlagen) abgebaut werden können.

Wo es uns hintreibt

Eine profeministische Männerkritik ist der schmerzhafte Prozess, zu erkennen, wie wir uns, unsere Mitmenschen und diese Welt zugrunde richten. Das bedeutet, die eigenen Beziehungen zu Menschen als gesellschaftlich und gesellschaftlich strukturiert zu reflektieren, ebenso den Feldzug gegen andere Männer und den Krieg gegen alles, was nicht „Mann“ ist. Außerdem: die patriarchalen Strukturen nicht nur außerhalb unserer (Heten-) Beziehungen zu wähnen. Profeministische Männerkritik bedeutet das Eingeständnis von sich wiederholender Ausflucht und Abwehr gegen eine an sich selbst vorgenommene oder an einen herangetragene Kritik zur Stabilisierung männlicher Vorherrschaft, das Eingeständnis des Kleinredens derselben und der Selbsterhöhung gegenüber anderen, „nicht so antisexistischen Männern“ sowie das Eingeständnis der auch „passiven“, stillschweigend eingegangenen Komplizenschaft in der Männerbündelei aus der Angst heraus, doch von der Teilhabe an Macht ausgeschlossen zu sein/werden. Eine profeministische Männerkritik darf nicht alleinig den Antifeminismus der AfD bekämpfen, ohne den sich in vielerlei Gestalt bahnbrechenden Antifeminismus in den eigenen Strukturen zu thematisieren. Sie darf nicht nur thematisieren, dass weltweit die Männergewalt in unterschiedlichster Form weiter eskaliert, und dabei die Gewalt, die sich in und durch uns und in unserem politischen Umfeld gegen Frauen abspielt, beschweigen. Das bedeutet auch, unser eigenes Weltbild zu hinterfragen und den Kampf um eine radikale gesellschaftliche Veränderung nicht als eine Ziellinie, die Mann als erster überrennen muss, zu begreifen.

„Der Befreiungskampf orientiert sich an einem revolutionären Feminismus oder führt in ein reformiertes Patriarchat.“ – Mondsicheln, Nov. 93 (Hamburger Frauen- und Lesbengruppe in den 90ern)

Mit solidarischen Grüßen, higatu Kiel

Bei (Nach-) Fragen, Anmerkungen, Kritiken u.ä. schreibt uns an: higatukiel@riseup.net

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