Dieser Text ist zuerst als Artikel in der Analyse und Kritik 644 vom 11. Dezember 2018 erschienen (S. 35). Hier veröffentlichen wir eine leicht veränderte, längere Version.
Männer sind unsicher und haben Angst. Angst, nicht männlich genug zu sein, Angst, den Anforderungen, die ihr Leben bestimmen, nicht zu genügen, Angst den herrschenden Idealen nicht entsprechen zu können. Um ihre bedrohte Männlichkeit (wieder) zu stabilisieren bzw. zu beweisen, greifen sie auf dominantes und gewaltvolles Verhalten zurück. Betroffen davon sind sie selbst, andere Männer, aber am stärksten FLTI*s.
So oder so ähnlich funktionieren die meisten Analysen zu gewaltvollem und (selbst-) verletzendem Verhalten von Männern. Von diesem prinzipiell richtigen Ausgangspunkt gibt es zwei beliebte Ableitungen: Die “maskulistische” skandalisiert den Mangel an Männlichkeit, der durch “schreckliche” gesellschaftliche Entwicklungen (Abbau männlicher Privilegien, jeder Feminismus, die “Verweiblichung der Kultur”) entstehe, und will Männer stärken. Männliche Gewalt erscheint hier als vielleicht fehlgeleitete, aber berechtigte “Notwehr” oder “Hilferuf” der zu unrecht Beschränkten und Verurteilten. Die “links-liberale” Ableitung erscheint um einiges fortschrittlicher: Sie verzeiht die Gewalt nicht vorschnell und kritisiert die Männlichkeitsideale, zu denen Männer sich verhalten müssen. Sie schließt daraus jedoch lediglich, dass es dann eben ein anderes, “besseres” Männlichkeitsideal bräuchte und keine Kritik ums Ganze.
Aktuell stehen Auseinandersetzungen um Männer, Männlichkeitsideale und ihre Ableitungen wieder verstärkt auf dem Programm: Die alte und neue Rechte verbindet ein zunehmend aggressiv auftretender Antifeminismus, der mitunter ganz offen patriarchale und völkische Ideologien in Forderungen nach “Souveränität” und “Wehrhaftigkeit” miteinander verknüpft. Hier werden die Neueinsetzung einer soldatischen Männlichkeit und noch hierarchischere Geschlechterordnungen wieder unverblümt herbeigesehnt.
Gleichzeitig haben vor allem beständige feministische Kritik und die #Metoo-Debatte die Problematisierung von Männlichkeit wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt, und auch in der radikalen Linken gibt es wieder mehr kritische Auseinandersetzung mit dem Thema, die über feministische Zusammenhänge im engen Sinne hinausgehen: Die Beschäftigung mit sogenannter “Kritischer Männlichkeit” findet nicht oft, aber häufiger in Workshops und in seltenen Fällen in organisierten Gruppen statt. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung in Anbetracht dessen, dass die meisten Cis-Männer auch in der radikalen Linken höchstens eine rhetorische Aufgeschlossenheit gegenüber feministischer Kritik und den Anliegen von FLTI*s pflegen und sich sonst auf ihre herrschaftliche Ignoranz zurückziehen.
Abgesehen von einigen wenigen feministischen Gruppen wird aber weder theoretisch noch praktisch eine radikal-emanzipatorische Perspektive formuliert, die sich in die aktuell eher von rechts dominierten Verhandlungen des Themas einbringen könnte. Denn auch progressive Ansätze der Auseinandersetzung mit Männlichkeit verbleiben oft innerhalb der vorgezeichneten “links-liberalen” Ableitung. Zeigen lässt sich das am Begriff der “Toxischen Männlichkeit”.
Der Begriff der “Toxic Masculinity”, zu deutsch Toxische Männlichkeit, ist besonders seit der #MeToo-Debatte im Aufschwung und beschreibt das Konglomerat an männlichen Eigenschaften, Verhaltensweisen und Stereotypen, die “toxisch”, also schädlich, auf Männer und ihr Umfeld wirken. (Sexualisierte) Gewalt, Dominanzstreben, Machismen und die Diskriminierung von Frauen und Queers sind genauso gemeint wie emotionale Verelendung, “Risikoverhalten” und (körperliche) Gewalt als Täter wie Opfer.
Vorteilhaft an dem Begriff ist, dass er an den (Leid-) Erfahrungen von Männern ansetzt, ohne ihr gewaltvolles Verhalten zu entschuldigen. Außerdem kann er auf “eigene Interessen” von Männern verweisen, um sich mit patriarchalen Geschlechterrollen und Sexismus auseinanderzusetzen. Damit ist u.a. die Verbreitung des Begriffs zu erklären, der mittlerweile auch von Männern und sogar nicht-feministischen Akteur_innen aufgegriffen wird: Der britische Journalist Jack Urwin konnte mit seiner Nautilus Flugschrift “Boys don’t Cry” einiges an Aufmerksamkeit gewinnen; Der Männerforscher Thomas Gesterkamp greift das Konzept gern auf, um gesundheitspolitische Männerthemen mit Antidiskriminierung zu verbinden und in den USA thematisiert der Schauspieler Terry Crews schon seit 2014 “Toxic Masculinity” öffentlichkeitswirksam. Crews, der auch ein Buch über “Manhood” geschrieben hat, bekannte sich als einer der ersten Männer über die #MeToo Debatte zu erlebten sexuellen Übergriffen, ohne dabei das feministische Grundanliegen in Frage zu stellen. Der Ex-Footballprofi, der mittlerweile zu dem Thema in Talkshows und auf Podien eingeladen wird, ist bemerkenswert, weil er mittlerweile nicht mehr nur als Profisportler, sondern auch als Action- und Comedyheld bekannt ist. Ein Mann, der sich einerseits kritisch gegenüber klassischen Konzepten von Männlichkeit äußert, verkörpert andererseits gleich drei der klassischen Betätigungsfelder männlicher Selbstdisziplin und (lässiger) Unangreifbarkeit.
So bewundernswert die Handlungen eines Terry Crews tatsächlich sein mögen; Spätestens dass er als “neues” männliches Vorbild und vor allem als ultimativer Vater gefeiert wird, sollte zu denken geben. “Toxische Männlichkeit” zeigt sich nämlich allzu oft als oberflächliche Spaltung des männlichen Habitus in “gute” und “schlechte” Anteile und bedient darüber hinaus, zumindest praktisch, ein Grundbedürfnis jeglicher Männlichkeitskonstitution, dass sich schon im Untertitel von Crews Buch ausdrückt: “How to be a better man”.
Nach Raewyn Conell, der Ikone der kritischen Männlichkeitsforschung, besteht eine Hauptfunktion hegemonialer Männlichkeit darin, das Patriarchat legitim erscheinen zu lassen. Deshalb ist es mehr als verdächtig, dass die Diskussionen um “Toxische” und “Kritische Männlichkeit” in den Milieus (links-liberal/mittelständisch) stattfinden, wo sich in den letzten Jahrzehnten das patriarchale Geschlechterverhältnis stark modernisiert hat. Bekenntnisse zu Geschlechtergerechtigkeit gehören hier mittlerweile zum guten Ton. Klassisch vergeschlechtlichte Arbeitsteilung hat sich zu einem “Adult-Worker-Modell” gewandelt, wodurch eine leichte Angleichung der Geschlechterrollen stattgefunden hat. Hier werden sich außerdem die idealtypischen Eigenschaften des spätkapitalistischen Subjekts besonders stark angeeignet: Kommunikativ, “emotional intelligent”, selbstsorgend und asketisch-gesundheitsbewusst im eigenen Hedonismus.
Die Kritik an Rape Culture und männlicher Gewalt, die die Diskussionen um “Toxic Masculinity” maßgeblich geprägt haben, drohen deshalb in ein Projekt der schlichten Modernisierung des Männlichkeitsideals umzukippen. Männlichkeit kann so “entgiftet” werden und gestärkt wieder auferstehen. Hier ist vor allem interessant, was nicht als toxisch-männlich verhandelt wird: zum Beispiel Leistungsethos, Sportlichkeit und das Selbstbild des Versorgers (der Familie). Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Misogynie und männlicher Selbstdisziplinierung, Körperkontrollidealen und Grenzverletzungen sowie vergeschlechtlichter Arbeitsteilung und Sexismus.
Das passt zum aktuellen Geschlechterverhältnis, dass vorgeblich keine festen Geschlechterrollen mehr kennt, sondern nur noch mehr oder weniger selbstgewählte Geschlechtsidentitäten. Vergeschlechtliche Arbeitsteilung und Rollenverhalten erscheinen zunehmend “selbstgewählt” nach “Interessen” und “Bedürfnissen”. Patriarchale Herrschaft besteht zwar so nach wie vor, setzt sich aber nun individualisierter durch. Wie beim “Diversity Management” erscheinen Diskriminierung und repressive Geschlechteranforderungen so nicht mehr im Kontext eines Herrschaftsverhältnisses, sondern nur noch als Hemmnis der Produktivkraft Mensch. Diese unheilige Allianz von berechtigten feministischen Anliegen und spätkapitalistischer Selbstverwirklichung zeigt sich auch in der Kritik an “Toxischer-“ oder “Hypermaskulinität”. So schreibt die gesundheitspolitische Planed Parenthood Foundation, das US-Amerikanische Äquivalent zu Pro Familia, über Hypermaskulinität: “Breaking down gender stereotypes allows everyone to be their best selves.”
Eine radikale Männlichkeitskritik, die auch praktisch in der Lage wäre, auf real existierende (Cis-) Männer einzugehen, bzw. die auch von ihnen betrieben werden kann, ist hier nicht zu finden. Es ist aber wichtig und absolut begrüßenswert, wenn sich auch (Cis-) Männer mit ihrer eigenen Männlichkeit und Position im Patriarchat ernsthaft auseinandersetzen. Nur laufen besonders sie Gefahr, damit nur einen “Reformprozess” anzustoßen, der im Endeffekt auf eine Resouveränisierung von Männlichkeit hinaus läuft. Es ist deshalb bedenklich, dass Slogans wie “Real Men are Feminists” auch in der radikalen Linken verbreitet sind oder das Label “Kritische Männlichkeit” die Vorstellung zulässt, dass hier die Männlichkeit eine kritische, eine gute, sein könnte. Dass es so wenige Möglichkeiten gibt, männliche (Leidens-) Erfahrungen emanzipatorisch mit feministischer Kritik zu vermitteln, ist nicht die Schuld des Feminismus, aber sein Problem. Das heißt nicht, dass Feminist_innen sich endlich der bedauernswerten (Cis-) Männer annehmen sollten, sondern verweist vor allem auf die Verantwortung besagter Männer.
Für diese widersprüchliche Aufgabe gibt es kein Patentrezept, aber einiges an historischen und einzelne aktuelle Versuche. Die vierte Ausgabe der “Streitschrift gegen sexistische Zustände” des Antisexismusbündnis Berlin und das Fantifa-Buch der Edition Assemblage thematisieren beide eine feministische Auseinandersetzung von (Cis-) Männern mit Männlichkeit innerhalb der linksradikalen Szene, die über Lippenbekenntnisse und Stellvertreterbetroffenheit hinausgeht. Und seit letztem Jahr gibt es auch ein vollständiges digitales Archiv des historischen Vernetzungs- und Diskursorgans “Profeministischer Männerrundbrief”, das Theorie und Praxis der autonomen Männerbewegung von 1993 bis 2002 dokumentiert.
Gerade ein Blick in die Geschichte verweist auf eine Praxis, die über den sporadisch stattfindenden Workshop oder Vortrag weit hinausgeht: Regelmäßig stattfindende Männlichkeits- bzw. sogenannte Männer-Plena beschäftigten sich mit der Realität und den Voraussetzungen von männlicher Gewalt und Dominanz im eigenen Umfeld, Supportstrukturen für FLTI*-Gruppen wurden aufgebaut und (intime) Räume für Selbsterfahrung und Austausch geschaffen. Gerade hier sollte eine tiefergehende Reflexion des männlichen Habitus ermöglicht werden, die von Verletzlichkeit, (Selbst-) Kritik und Sorge umeinander geprägt war — auch abseits der emotionalen Arbeit von FLTI*s.
Zugegeben: Auch damals war diese Praxis marginal und auch der Wunsch nach einer “guten”, dann eben anti-patriarchalen Männlichkeit schlich sich immer wieder ein. Wie damals geht es auch heute darum, die Widersprüche zwischen (eigener) gelebter Männlichkeit und radikal-feministischem Anspruch nicht einseitig aufzulösen, sondern stattdessen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Angetrieben würden Männer dann nicht mehr nur von Angst und Unsicherheit, sondern von echter Solidarität und einem revolutionären Begehren, das zwar auch am Leiden am eigenen Geschlecht entspringt, aber es letztlich überwinden will — und das ist ein Unterschied ums Ganze.
Paul Hentze und Kim Posster sind real existierende Cis-Männer und sind an diesem Websiteprojekt beteiligt.